Fahrerfortbildung
Wer kennt es nicht. Samstag kurz vor Mittag, dicker zähfließender Verkehr kämpft sich im Stopp and go durch die Hauptverkehrsstraßen der Stadt. Ich befinde mich mittendrin, es geht nicht vorwärts und ich habe noch so viel zu besorgen. Dann vernehme ich ein Martinhorn und entdecke ein Feuerwehrfahrzeug, welches sich durch die verstopften Straßen quält. Ich denke mir im günstigsten Fall: „Na der hat es aber auch nicht leicht“.
Aber wer sitzt denn eigentlich am Lenkrad so eines Einsatzfahrzeuges? Wer hat sich die Verantwortung aufgebürdet dieses große Auto unbeschadet, besetzt mit 8 weiteren Kameraden und unter Zeitdruck, durch diesen dichten Verkehr zu manövrieren?
Wenn wir die Anfangs angenommene Zeit zur Grundlage nehmen, stand dieser Kraftfahrer des Feuerwehrautos vielleicht vor 5 Minuten noch selbst mit seiner Familie bei Famila an der Kasse. Der Melder piepst, die Textmeldung zeigt B2Y. Höchste Eile also. Hastig das Portemonnaie der Frau in die Hand gedrückt, raus aus dem Laden und ab in den eigenen Pkw. Jetzt erstmal in diesem dicken Verkehr zum Feuerwehrhaus.
Dort angekommen, schnell in die Einsatzklamotte und ab in die Fahrzeughalle. Ah, da fehlt noch ein Fahrer. Also rauf auf den Bock und erst mal registrieren welches Fahrzeug ich jetzt zu bewegen habe.
Erst jetzt hat sich spontan entschieden wer als Fahrer tätig wird und damit die Verantwortung für Mensch und Gerät übernimmt.
Die Feuerwehr Gifhorn z.B. hat 15 verschiedene Fahrzeuge. Davon 8 Großfahrzeuge die nur mit der Fahrerlaubnisklasse C gefahren werden dürfen.
Zeit zum Überlegen bleibt nicht viel. Ok, TLF 16/25; Automatik, gut, das erleichtert den Job. Alle drauf? Türen zu? Ok, abfahren! Blaulicht an, Martinhorn an. Wo geht’s eigentlich hin? Südstadt, Dachgeschoß, eventuell noch Personen in Gefahr… kurze Ansage des Gruppenführers. Also Braunschweiger Straße, erste Ampel Rot, abbremsen Schrittgeschwindigkeit, Rettungsgasse? Naja, ok die linke Spur ist frei, warum fährt der mir vor die Karre? Hört und sieht der mich nicht? Und so geht es durch den dicken Verkehr bis zur Einsatzstelle um dann aus dieser angespannten Situation heraus von jetzt auf gleich umzuschalten und sich ohne Verzug zu 100% auf das Einsatzgeschehen zu konzentrieren.
Diesen Job machen aber keine Berufskraftfahrer, sondern Menschen, die ihre Arbeitszeit in unterschiedlichsten Berufen, zum Beispiel an Werkbänken und Schreibtischen, verbringen. Die wenigsten Kameraden haben tägliche Fahrpraxis auf Großfahrzeugen.
Um dieses Defizit auszugleichen und den Kameraden eine höhere Sicherheit im Bedienen dieser Fahrzeuge zu ermöglichen, wurde vor geraumer Zeit der Dienst „Fahrerfortbildung“ ins Leben gerufen. Seitdem treffen sich, regelmäßig am letzten Dienstag im Monat, die Kraftfahrer aller Fahrerlaubnis Klassen, um sich in Fahrpraxis, Geschicklichkeit und Ortskenntnis weiterzubilden.
Angeleitet von erfahrenen Kraftfahrern werden im Stadtgebiet besonders fordernde Straßen befahren, um die Ortskenntnis zu fördern und die Dimensionen der unterschiedlichen Feuerwehrfahrzeuge richtig einschätzen zu lernen. Da die Feuerwehr nicht nur innerorts zum Einsatz kommt, werden auch Überlandfahrten organisiert, einzeln oder im Marschverband. Denn auch auf einer Fahrt zum Hochwasser an die Elbe oder den Moorbrand in Meppen muss jeder Kraftfahrer wissen, wie er sich zu verhalten hat. Und alles was ich schon einmal geübt habe, geht, wenn es gefordert wird, bekannter Weise besser von der Hand.
Hin und wieder muss die Feuerwehr auch den Asphalt verlassen und sich auf unbefestigten Wegen zu Einsatzstellen bewegen. Auch dieses Thema wird aufgegriffen und in einem der turnusmäßigen Übungsdienste intensiv geschult. Hier wird auf die Allradtechnik der Fahrzeuge und die Grundlagen des Fahrens im Gelände eingegangen. Das Gelernte wird dann in der Praxis in einer Kiesgrube auf einem speziellen Parcours, der den zu erwartenden Anforderungen entspricht, angewandt und erprobt.
Um das Ganze nicht zu trocken zu vermitteln und das Interesse der Kameraden hoch zu halten, werden diese Fahrten auch schon mal als Schnitzeljagd erarbeitet, wo zusätzlich zu der gewonnenen Fahrpraxis spannend und herausfordernd Ortskunde, Löschwasserentnahmestellen und Feuerwehrwissen vermittelt werden.
Entweder mit den bewährten UTM Koordinaten oder mit dem örtlichen Hydranten Verzeichnis ausgestattet arbeiten die Fahrzeugbesatzungen im Team einen Aufgabenkatalog ab, an deren erfolgreichen Ende die geleistete Arbeit in geselliger Runde mit einer Bockwurst belohnt wird.
Auch werden in die Überlandfahrten Besuche bei anderen Feuerwehren eingebaut, wenn dort etwas Neues zu bestaunen ist oder einfach nur um die Kameradschaft untereinander zu pflegen.
Wir arbeiten auch mit dem örtlichen Ordnungsamt zusammen und unternehmen sporadisch Sichtungsfahrten in Begleitung von Mitarbeitern des Amtes für ruhenden Verkehr. Bei diesen Sichtungsfahrten werden gezielt Stellen lokalisiert, die eine ungehinderte Einsatzfahrt gefährden und Kraftfahrzeuge die an unerlaubten Stellen parken. Diese Verstöße gegen die Verkehrsordnung werden dann sofort vor Ort von den Mitarbeitern des Ordnungsamtes dokumentiert und geahndet.
Auf diesem Wege arbeiten wir beflissen daran, dem Menschen, der gerade seine Steuererklärung gegen das Steuer des Blaulichtautos tauschen durfte, die Routine und professionelle Gelassenheit zu vermitteln, damit er jede Einsatzfahrt zu jeder Tages und Nachtzeit unbeschadet bewältigt und die Mannschaft immer wieder gesund nach Hause bringt
Auch wenn er gerade mal wieder trotz Blaulicht und Martinhorn nicht weiterkommt, weil der Autofahrer vor ihm so in seine Helene Fischer CD vertieft ist und darum um sich herum seine Umwelt und die grellen Frontblitzer in der Heckscheibe leider nicht wahrnimmt.